Die Orgeln der Johanniskirche zu Dessau

Eule-Orgel aus dem Jahr 1990
Eule-Orgel aus dem Jahr 1990

Eine Orgel gehört wie Taufstein, Altar und Kanzel unabdingbar zur Ausstattung einer lutherischen Kirche.

Zum Vorverständnis stellt sich die Frage, weshalb es in dem damals kleinen und bevölkerungsarmen Dessau neben der großen Hof- und Stadtkirche St. Marien eines Kirchenneubaus und damit auch einer neuen Orgel bedurfte.

1534 bekannten sich die Dessauer Fürsten zur lutherischen Reformation. St. Marien zu Dessau wurde als geistliches Zentrum der lutherischen Staatsreligion weiter ausgebaut und verfügte mit Sicherheit über eine angemessene Orgel.

Mit Einführung des reformierten (calvinistischen) Glaubensverständnisses (1596-1606) unter Fürst Johann Georg l. (geb.1567/†1618) behielten die lutherischen Christen in Dessau nur noch ein begrenztes Nutzungsrecht in St. Marien. Wollten sie das Abendmahl nach lutherischem Verständnis feiern, mussten sie außer Landes gehen, d. h. in einer preußischen Gemeinde kommunizieren. Dieser Zustand sollte sich in der Herrschaftszeit von Johann Georg II. (geb.1627/†1693) ändern.

Der lutherische Münzmeister und spätere Kommerzienrat Johann Christoph Pflug wirkte bald nach seinem Zuzug nach Dessau (1686) bis zu seinem Tode am 17.8.1693 als weitsichtiger Initiator und Bauherr der lutherischen Kirche samt Friedhof, Schule und Pfarrhaus inmitten der durch ihn inszenierten und zeitgleich entstehenden Dessauer Neustadt.

Für den Orgelbau in der geplanten lutherischen Kirche gewann er in Magdeburg die Orgelbau-Werkstatt Heinrich Herbst und für das Gehäuse die Bildhauerwerkstatt Wilhelmi. Mit Gewissheit wurde bei der Kirchweihe (2.5.1702) auch diese erste Orgel von St. Johannis gespielt.

Bei dem Umbau des Kircheninneren (Juli 1865 – Dezember 1868) wurde die erste Orgel durch ein Instrument des Dessauer Orgelbaumeisters Karl Giese ersetzt und am 12. Mai 1872 eingeweiht.

Im Zusammenhang mit der Kirchenrenovierung 1904 baute die Firma Fleischer und Kindermann diese Giese-Orgel um, sodass 1909 eine erweiterte (3.) Orgel in Dienst genommen werden konnte.

Zur Einweihung der 1944/45 zerstörten und bis 1955 wieder aufgebauten Johanniskirche erwarb die Kirchengemeinde die Kleinorgel des Orgelbaumeisters Reinhard Adam aus Halle.

Am 15.6.1978 übergab Landeskirchenmusikdirektor, Wolfgang Elger, seinem Dezernenten, Oberkirchenrat Siegfried Schulze, das Arbeitspapier „Zur Orgelsituation bei Amtsantritt”. Zugleich knüpfte er Kontakte zum damaligen VEB Orgelbau Bautzen (heute wieder: Hermann Eule Orgelbau GmbH). Verhandlungen mit der Kirchengemeinde St. Johannis und St. Marien führten Ende 1980 zur Zustimmung des Gemeindekirchenrates, die neue Orgel in der Johanniskirche zu errichten.

Verbunden mit dem Orgelbauvertrag vom 16.3.1981 war der Erwerb eines Positivs der Orgelbaufirma (Einweihung am 19.12.1982) und der Abbau der kleinen Adam-Orgel.

Die Zuständigkeiten für die umfangreichen Arbeitsabläufe waren spätestens seit Oktober 1983 geklärt: Pastor Peter Rauch übernahm die Pfarramtsführung, vertrat damit die Gemeinde und koordinierte das Baugeschehen. LKMD Wolfgang Elger setzte sich für die kirchenmusikalischen Belange ein. Architekt Günther Gaudl arbeitete an den Entwürfen des Orgelprospektes und der künftigen Raumgestaltung. Und die damals verstaatlichte Orgelbaufirma Eule in Bautzen mühte sich darum, den vielfältigen Wünschen der Gemeinde Rechnung zu tragen.

Aus klimatischen und heizungstechnischen Gründen entschloss sich die Gemeindeleitung, den bisherigen Standort auf der Westempore aufzugeben und die Orgel im Altarraum errichten zu lassen. Die Verhandlungen dazu wurden im Gemeindekirchenrat, mit dem Landeskirchenrat, der Denkmalpflege und den nötigen Gewerken sachlich und konstruktiv geführt. Eine Alternative zur erfolgten Gestaltung ließ sich unter den damaligen Bedingungen nicht finden. Die Gemeindeglieder – laufend über die Vorgänge informiert – nahmen an den aufwändigen Arbeiten hilfreich Anteil.

Die Einweihung der neuen Orgel stand im Mittelpunkt der Landeskirchenmusiktage vom 12. -14.10.1990 in Dessau. Am 13.10. predigte Kirchenpräsident Dr. Eberhard Natho in St. Johannis. In diesem Gottesdienst wurde die Einweihung der großen Eule-Orgel durch Kreisoberpfarrer Alfred Radeloff vorgenommen. Grußworte folgten und ein Festessen, bei dem Pastor Rauch den vielen am Orgelprojekt Beteiligten den Dank der Kirchengemeinde aussprach.

In der Orgelvorführung am Nachmittag erlebten die Beteiligten, was die neue Orgel mit ihren 3295 Pfeifen, verteilt auf 48 Register, drei Manualen und Pedal-Werk vermag.

Im Rahmen Landeskirchenmusiktage 1990 – mit zwei festlichen Gottesdiensten und zwei Konzerten in der Johanniskirche – konnte dankbar mitgeteilt werden: Die Orgel ist bezahlt. Viele Helfer, Spender, Beihilfen u. a. machten es möglich. Wer heute nach den wirklichen Kosten fragt, dem vermögen auch Insider nur ungenaue Angaben zu machen. Zu viele Beteiligte haben uns Pfeifenmaterial oder Orgelteile geschenkt, die nur mit so genanntem „Westgeld“ (D-Mark) zu erwerben waren. Andere schenkten uns ihre Leistungen. Ein nicht weniger mühevoller und kostenintensiver Eingriff in die innere Gestaltung der Johanniskirche ergab sich später durch die Konservierung, Restaurierung und Hängung unserer drei großen Cranach-Tafelgemälde. Es ist in St. Johannis gelungen, das Interieur unterschiedlichster Stilperioden (Spätgotik, Renaissance, Barock, Klassizismus und Moderne) in eine positive Spannung zueinander zu bringen.

Zuletzt wurde in einer Feierstunde am 20.Oktober 2009 das große Wandbild von Fridolin M. Kraska enthüllt. An der freien Wand hinter der Westempore, dort, wo früher die Orgeln standen, erinnert seine moderne Arbeit daran: Während der Vorbereitung zum Aufbau der Eule-Orgel fanden in der Johanniskirche vom 20.10.1989 an 12 Gottesdienste „Gebet um Erneuerung” statt. Hier begann mit 1.500 bis über 3.000 Teilnehmern und weiteren Diskussionsveranstaltungen die friedliche Revolution in Dessau.

So ist die Johanniskirche als eindeutig sakraler Raum zugleich von kunst- und stadtgeschichtlicher Bedeutung und erlaubt eine vielfältige Nutzung.

*Literaturverzeichnis:

Ludwig WÜRDIG, Chronik der St. Johanniskirche und deren Gemeinde zu Dessau (1889)

Günther SCHIEDLAUSKY, Die St. Johanniskirche in Dessau (in: AnhaltischeGbll 12, 1936, S. 1-10)

Landeskirchenmusiktage 1990 (Programmheft)

Peter RAUCH, Die Orgeln von St. Johannis zu Dessau, 1990, mit Quellennachweisen

Peter RAUCH, 300 Jahre St. Johanniskirche zu Dessau 1702-2002 (S.55-57)

Peter RAUCH, Dokumentation zum Bau der Großen Eule-Orgel in der Dessauer Johanniskirche

Alfred W. RADELOFF, Die friedliche Revolution in Dessau …